Erwin Friedrich Max Piscator wurde als Sohn des Kaufmanns Carl Piscator (einer seiner Vorfahren hatte um 1600 seinen Familiennamen Fischer latinisiert) und dessen Ehefrau Antonie am 17. Dezember 1893 in Ulm (heute zu Greifenstein gehörend) geboren und wuchs in einem protestantischen Elternhaus auf. Er entstammt einem alten, evangelischen Pastorengeschlecht.
Nach dem Schulabschluss am Marburger Gymnasium 1913 studierte Piscator zuerst Germanistik, Philosophie und Kunstge-schichte an der Universität München und trat am Münchner Hof- und Nationaltheater als Volontär auf. 1914 begann er als Schauspieler am Hoftheater München. 1915 rückte er ins Feld, fand aber 1916 an einem Fronttheater wieder Anschluss an seinen Beruf. Das Kriegserlebnis verstärkte seine pazifistischen und sozialistischen Neigungen, nach dem Ausbruch der Revolution bekannte er sich offen zum Kommunismus. 1915 und 1916 erschienen seine Anti-Kriegs-Gedichte in der Berliner Zeitschrift "Die Aktion link*". 1917 meldete sich der 23jährige bei einem Fronttheater in Belgien als Schauspieler und Regisseur. Nach dem Kriegsende setzte Piscator seine Studien an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin fort und schloss sich der Berliner Gruppe des Dadaismus link* um die Grafiker George Grosz link* und John Heartfield link* an. Nach der Novemberrevolution 1918 trat er in die KPD ein.
1919 übernahm er die Leitung der gemeinsam mit Karl Heinz Martin gegründeten Bühne Tribunal, die vorwiegend expressionistische Stücke zur Aufführung brachte. 1920 gründete Piscator in Berlin sein erstes agitatorisches so genanntes Proletarisches Theater, eine Bühne der revolutionären Arbeiterschaft. Das Ensemble bestand aus Mitgliedern der Berliner Dada-Bewegung und spielte in den Arbeitervierteln der Stadt vorwiegend Stücke zeitgenössischer Autoren zu aktuellen sozialpolitischen Fragen. 1921 wurde das Proletarische Theater geschlossen.
1922/23 übernahm Piscator die Leitung des Central-Theaters in Berlin-Kreuzberg. In den Jahren 1924-1927 arbeitete er als Gastregisseur an der Berliner Volksbühne und 1927/28 am Theater am Nollendorfplatz. Zu seinen Mitarbeitern gehörte unter anderen auch Bertolt Brecht. In dieser Zeit entwickelte er einen eigenen Inszenierungsstil, bei dem der dramatische Text als Material diente und durch andere Elemente wie Filmeinblendungen, Projektionen und politische Losungen ergänzt wurde. Die beiden großen Revuen Piscators waren Höhepunkte des politischen Massentheaters der Weimarer Republik. Mit der Revue "Trotz alledem" eröffnete die KPD ihren 10. Parteitag im Juli 1925.
Sein eigenes Theater, die Piscator-Bühne, eröffnete er 1927 mit Unterstützung des Berliner Großindustriellen Ludwig Katzenellenbogen am Nollendorfplatz. Piscators Inszenierungen von zeitgenössischen Stücken und Romanbearbeitungen beeindruckten das Publikum durch ihren aufwändigen konstruktivistischen Bühnenapparat, begründeten den Ruf Piscators als beispielloser bühnenästhetischer Innovator und trugen ihm eine Würdigung als „einzigem fähigen Dramatiker außer mir“ durch Bertolt Brecht ein.
Die erste Piscatorbühne wurde mit der Uraufführung von Ernst Tollers link* "Hoppla, wir leben!" eröffnet. Als Dramaturgen arbeiteten mit ihm neben Mehring link* auch Bert Brecht und Ernst Toller. 1928 wurde das Lessing-Theater als zweite Spielstätte angemietet. Die weiteren Projekte von Piscator scheiterten bis 1931 aus finanziellen Gründen.
Piscators Inszenierungen zeichnen sich vor allem durch technische Neuerungen aus. Auf der so genannten Piscatorbühne, einer Etagenbühne, auf der sich zeitgleiches Geschehen parallel darstellen ließ, wurden Filmprojektionen mit einbezogen. Zu den wichtigen Aufführungen dieser Zeit, die durch Dynamisierung das Geschehen emotional nacherlebbar machen sollten, gehörten Alfons Paquets link* „Sturmflut“, Maksim Gorkijs „Nachtasyl“ und Friedrich Schillers „Räuber“, wo einer der Darsteller mit der Maske Trotzkijs auftrat. Aufsehen erregten 1927 auch seine Interpretationen von Alexej Tolstojs „Rasputin“ mit einem gewaltigen, drehbaren Globus, der aufklappbar war und verschiedene Spielebenen ermöglichte, und Jaroslav Hašeks „Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk“, zu der Piscator einen Trickfilm nach Zeichnungen von George Grosz laufen ließ.
Um sein Theaterkonzept auch baulich realisieren zu können, entwarf Piscator 1927 gemeinsam mit Walter Gropius link*, dem Gründer der avantgardistischen Kunsthochschule Bauhaus, das Projekt eines „Totaltheaters“, das der Aufhebung der räumlichen Trennung zwischen Schauspielern und Zuschauern und der Ablösung der Tiefen- und Guckkastenbühne galt. 1929 wurde Piscators Kampfschrift "Das politische Theater" veröffentlicht.
Zwischen 1931 und 1936 lebte Piscator in der Sowjetunion. Dort drehte er den Film "Aufstand der Fischer von St. Barbara" nach einer Novelle von Anna Seghers und plante, in Kooperation mit dem Internationalen Revolutionären Theaterbund, eine Experimentierstätte für antifaschistische Theater- und Filmarbeit. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 konnte Piscator nicht mehr nach Deutschland zurückkehren, da er als Kommunist auf der Fahndungsliste der Gestapo stand. Er blieb als Emigrant in der UdSSR. Im November 1934 wurde Piscator Präsident des Internationalen Revolutionären Theaterbundes (IRTB). 1936 reiste er in seiner Eigenschaft als IRTB-Präsident nach Westeuropa und blieb in Paris.
Mitte Dezember 1938 reiste Erwin Piscator mit seiner Frau Maria in die USA und gründete 1939 an der New Yorker New School for Social Research den Dramatic Workshop, kurz darauf das Studio Theatre. Zu Piscators Schülern zählen bis 1951 Tennessee Williams link*, Arthur Miller link*, Marlon Brando, Tony Curtis und Harry Belafonte. 1951 kehrte er nach Deutschland zurück. Von 1951-1962 arbeitete Erwin Piscator als Gastregisseur an verschiedenen deutschen Bühnen sowie in der Schweiz, Italien, Schweden und den Niederlanden.
1955 wurde Piscators Bühnenfassung von Lew Nikolajewitsch Tolstois historischem Roman „Krieg und Frieden“ am Schillertheater in West-Berlin. Es war eine Inszenierung mit beispiellosem Publikumserfolg, doch vernichtendem Presse-Echo. Diese Bühnenfassung Piscators wurde seit 1955 in 16 Ländern aufgeführt. 1956 wurde er zum Mitglied der Akademie der Künste der DDR ernannt. Als Direktor der Freien Volksbühne in Westberlin, die er bis zu seinem Tode als Intendant leitete, inszenierte er in den Jahren 1962-1966 eine Reihe von Uraufführungen, unter denen die viel diskutierten Dokumentarstücke „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth link* (1963) und „Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen“ (1965) von Peter Weiss link* zu nennen sind.
Piscator war Mitglied der Schriftstellervereinigung „Gruppe 1925 link*“, Mitbegründer des „Volksverbandes für Filmkunst“, Konzeption eines „Deutschen Staatstheaters“ in Engels, Initiator und Präsident der 1956 gegründeten Deutschen Akademie der Darstellenden Künste, Präsident des Berliner Landesverbandes des Deutschen Bühnenvereins, Mitglied der Abteilung Darstellende Kunst der Akademie der Künste (West-Berlin) sowie des PEN-Zentrums der Bundesrepublik. Er erhielt viele Ehrungen, darunter 1953 die Goethe-Plakette des Landes Hessen. Anlässlich seines 65. Geburtstags wurde ihm 1958 das deutsche Bundesverdienstkreuz verliehen. Auf Anregung seiner Ehefrau Maria Ley wurde in New York seit 1986 jährlich an verdiente Theater- und Filmschaffende der „Erwin Piscator Award“ verliehen.
Erwin Piscator starb am 30. März 1966 nach einer Notoperation an der Gallenblase in einem Sanatorium im bayrischen Starnberg. Am 6. April wurde er auf dem Waldfriedhof an der Potsdamer Strasse in Berlin-Zehlendorf beigesetzt.