Kurt Tucholsky

 

   

Lebenslauf in Worten


Kurt Tucholsky wurde am 9. Januar 1890 als ältester Sohn des Berliner Bankkaufmannes Alex Tucholsky und dessen Cousine und Ehefrau Doris Tucholsky geboren. Er hatte einen Bruder und eine Schwater. Seine Eltern waren Deutsche jüdischer Abstammung. Seine Kindheit verbrachte er in Berlin und Stettin, wo die Familie sechs Jahre lebte. Tucholskys Vater, zu dem er ein inniges und liebevolles Verhältnis hatte, starb 1905 an den Folgen  der Syphilis. Das Verhältnis zu seiner Mutter blieb zeit Lebens getrübt.

Seine Schulausbildung vollbrachte er ab 1899 am Französischen Gymnasium, dann ab 1903 am Könglichen Wilhelms-Gymnasium in Berlin. Ab 1907 nahm der Privatunterricht, um sich auf das Abitur vorzubereiten. Das beträchtliche Erbe, welches der Vater hinterlassen hatte, erlaubte ihm eine gute Ausbildung. Nach dem erfolgreichen Abitur begann er 1909 ein Jura-Studium in Berlin. Das zweite Semester verbrachte er in Genf. Während des Studiums erwachte Tucholskys Interesse  am Schriftstellertum. Er knüpfte Kontakte mit Max Brod und Franz Kafka an. 1907, noch als Schüler, hatte er

Bereits als Schüler seine ersten Werke in der satirischen Wochenzeitschrift „Ulk“ veröffentlicht, während des Studiums schrieb er für das sozialdemokratische Parteiorgan „Vorwärts“. In den Jahren 1911 und 1912 betrieb er aktiven Wahlkampf für die SPD. Dies gab ihm Gelegenheit, die Parteiarbeit direkt kennen zu lernen, was ab 1919 in der innerlichen Ablehnung der Partei mündete. 1912 veröffentlichte er die Erzählung "Rheinsberg – ein Bilderbuch für Verliebte".  Mit dieser Erzählung begann seine Bekanntschaft als Schriftsteller. Zusammen mit seinem Freund Kurt Szafranski, der das Buch illustriert hatte, eröffentere er auf dem Kurfürstendamm eine Bücherbar. 

Das Jahr 1913 markierte den Wendepunkt in der Karriere Tucholskys. Er verzichtete auf die Erste Jurisitische Staatsprüfung und brach damit seine Juristenlaufbahn ab. Er wollte sich voll und ganz dem Schriftstellertum hingeben. Sein Engagement bei der Theaterzeitschrift "Die Schaubühne"  dauerte bis an sein Lebensende an. Fast in jeder Ausgabe der  Zeitschrift  gab es zwei bis drei Artikel Tucholskys.

Der Erste Weltkrieg bremste  seine jornalistische Tätigkeit. Zunächst beendete er doch sein Jurastudium und promovierte an der Universität Jena. Im April 1915 wurde er zum Wehrdienst eingezogen. Er diente als Alaramierungssoldat an der Ostfront und brachte ab 1916 die Feldzeitschrift "Der Flieger" heraus. 1918 wurde er als Vizefeldwebel und Feldpolizeikommissar nach Rumänien versetzt. Dort trat er zum protestantischen Glauben über und ließ sich taufen. Aus der jüdischen Gemeinde war er bereits 1914 ausgetreten. Die grausamen Kriegserfahrungen machten Tucholsky zum überzeugten Pazifisten und Antimilitaristen.

Nach der Rückkehr aus dem Krieg wurde Tucholsky Chefredakteur beim „Ulk link*“ und arbeitete auch für die „Weltbühne link*“. Er schrieb sehr viele Artikel und hatte zu den verschiedensten Bereichen seine Meinung beizutragen. Damit sein Name nicht das ganze Blatt dominierte, legte er sich zu diesem Zeitpunkt einige Pseudonyme zu, welche er noch lange nutzte: Ignaz Wrobel, Peter Panter, Theobald Tiger und später dann Kaspar Hauser. Einige Werke erschienen auch unter den Namen Paulus Bünzly, Old Shatterhand und Theobald Körner. Er schrieb Kabarett- und Lieder-Texte. 1919 erschien dann seine Gedichtesammlung "Fromme Gesänge". Gemeinsam mit Carl von Ossietzky link* und anderen organisierte er die Kundgebungen unter dem Motto "Nie wieder Krieg". In diese Zeit fiel auch seine erste Ehe mit der Ärztin Else Weil. Er heiratete sie 1920.

Tucholsky machte sich einen Namen als Lyriker und Essayist, als Literatur- und Theaterkritiker, als Satiriker und Journalist. Er schrieb Chansons und Glossen mit spitzer Feder, kein Blatt vor den Mund nehmend, mahnend und anklagend. Als politischer Schriftsteller widmete sich Tucholsky vor allem drei Hauptthemen: dem alten wilhemischen Ungeist der meisten Offiziere, den politischen Morden an linken und linksliberalen Politikern und Publizisten und der Unfähigkeit der demokratischen Politiker, die junge Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen. Politisch war er links gerichtet und in der USPD wie auch im Friedensbund der Kriegsteilnehmer engagiert. Doch auch die Linken kritsierte er oft, weil sie  ihm zu bürgerlich wurden. Er sah in der SPD viele Verräter an den früheren Idealen, die zur Novemberrevolution geführt hatten.

Nebenbei schrieb Kurt Tucholsky für das politisch literarische Kabarett "Schall und Rauch". Auch hier konnte er brillieren. Chansons, Soli oder Conferencen schrieb er für das Ensemble, welches seine Texte begeistert aufnahm. Allerdings erhielt Kurt Tucholsky für sein Tun nicht nur Beifall. Beschimpfungen und Drohungen erhielt er in anonymen Briefen und Telefonaten. Die zahlreichen politischen Morde der extremen Rechten, denen u.a. Reichsaußenminister Rathenau link* zum Opfer fiel, mussten beunruhigen. Dazu kamen diverse Anzeigen und Prozesse, doch ließ sich Tucholsky nur wenig davon beeindrucken. Er beteiligte sich an der Vorbereitung des "Geburtstag der Reichsverfassung", welcher zu einer Massenkundgebung wurde.

Nach einer schweren Depression und auch aus finanziellen Gründen hörte Tucholsky in den Jahren ab 1923 zu schreiben auf und begann in der Wirtschaft zu arbeiten. Er wurde Privatsekretär von Hugo Simon, Seniorchef des Berliner Bankhauses Bett, Simon & Co. Die Ehe mit Else wurde im Mai 1924 geschieden, im August des gleichen Jahres heiratete er Mary Gerold. Ab 1924 verbrachte Tucholsky die meiste Zeit im Ausland, vornehmlich im Frankreich wie auch sein großes Vorbild Heinrich Heine. Tucholsky wurde Vorstandsmitglied der "Gruppe Revolutionärer Pazifisten" und später neben Carl von Ossietzky auch in der "Deutschen Liga für Menschenrechte link*". Auf dem 2. Reichskongress der kommunistischen "Roten Hilfe Deutschland link*" wurde er in den Vorstand gewählt. Nur kurze Zeit später machten sich erste Anzeichen einer Krankheit bemerkbar, die schließlich zu einem Sanatoriumsaufenthalt führten. Von nun an sollte seine Gesundheit ihm zunehmend Probleme bereiten. 1926 übernahm er kurzzeitig die Leitung der „Weltbühne“, gab sie dann an Carl von Ossietzky ab und nahm als Mitherausgeber weiterhin Einfluss auf das Blatt. 1927 und 1928 veröffentlichte er die Reisebeschreibung "Ein Pyrenäenbuch", die Textsammlung "Mit 5 PS" und "Das Lächeln der Mona Lisa".

1928 trennten sich Tucholsky und seine zweite Frau Mary, aber bereits 1927 hatte Tucholsky Lisa Matthias kennen gelernt, mit der er 1929 den Sommer in Schweden verbrachte. Von diesem Aufenthalt inspiriert, schrieb er 1929 den Kurzroman "Schloss Gripsholm". 1929 veröffentlichte er auch das gesellschaftskritische Werk "Deutschland, Deutschland, über alles". Darin fasste Tucholsky alles zusammen, was er an Deutschland hasste. In scharfen Attacken ließ er seinen Worten und seiner Wut freien Lauf. Gleichzeitig machte er am Schluss des Werkes deutlich, dass Deutschland für ihn immer seine Heimat bleibt: „Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir. Und in allen Gegensätzen steht - unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert - die stille Liebe zu unserer Heimat.“ Bereits in den späten Jahren der Weimarer Republik warnte er die Deutschen vor der deutschen Politik und in insbesondere vor Hitler. „Er wollte mit der Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten“, schrieb Erich Kästner.

Nachdem die „Weltbühne“ über die illegale Aufrüstung der Reichswehr mit Kampfflugzeugen berichtet hatte, wurde 1929 ein Prozess wegen Landesverrrates und Verrates militärischer Geheimnisse gegen Carl von Ossietzky und Walter Kreiser link* eingeleitet. Ossietzky wurde zu 18 Monaten Haft verurteilt. In einem weiteren Prozess gegen Ossietzky ging es um das Zitat "Soldaten sind Mörder". Tucholsky wollte zum Prozess nach Deutschland kommen, wurde aber auf die drohende Lebensgefahr durch die Nazis hingewiesen. Das Schuldgefühl, dem Feund nicht geholfen zu haben, konnte er nie überwinden. 

Zu jener Zeit lebte er bei Göteborg in Schweden. 1931 warfen ihn sein scheinbar aussichtsloser Kampf um ein demokratisches Deutschland,  die Trennung von Lisa Matthias, der Tod eines engen Freundes, eine schwere Krankheit mit mehreren Operationen in die Resignation.  1933 wurden seine Bücher in Deutschland verboten und öffentlich verbrannt.  Ihm wurde die Staatsbürgerschaft entzogen und sein Vermögen in Deutschland wurde beschlagnahmt. Im Januar 1934 bemühte er sich um die schwedische Staatsbürgerschaft.

Seine Krankheit sorgte zusehends dafür, dass sein Lebenswille und seine Schreibkraft abnahmen. Noch einmal kam sein Kampfgeist auf, als der von ihm früher hochgeschätzte Knut Hamsun link* gegen Carl von Ossietzky, der zu diesem Zeitpunkt bereits im KZ saß, polemisierte. Aber Tucholskys Artikelangebote wurden abgelehnt. Er musste die bittere Erfahrung machen, dass man ihn nicht mehr wollte. Rund 2500 Werke verfasste Kurt Tucholsky bis zu seinem Tod. Am 20. Dezember 1935 nahm Kurt Tucholsky eine Überdosis Schalftabletten. Einen Tag später starb er. Seine Asche wurde im Sommer 1936 unter einer Eiche auf dem kleinen Friedhof in Mariefred in der Nähe des Schlosses Gripsholm beigesetzt. Tucholsky hinterließ keine Kinder. Seine Mutter starb 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt.


Er konnte gut schreiben. Er konnte sehr gut schreiben. Was heißt das? Was könnte es heißen? Die Sprache ein Stück weiterbringen. Nach Goethe konnte man deutsch nicht mehr so schreiben wie vor Goethe. Nach Nietzsche nicht mehr so wie vor ihm. Nach Thomas Mann nicht mehr so wie nach Nietzsche. Mit diesen Namen sind Quantensprünge unserer Sprachentwicklung in moderner Zeit etwa bezeichnet. Hat Tucholsky in dieser Reihe seinen Platz? Ich glaube: nein. Er hat keine durchaus neue Dimensionen des Sagbaren geschaffen. Wohl aber hat er wie Heine der Sprache Goethens, dem Deutsch des 20. Jahrhunderts einen Dienst geleistet: er hat den lesenden Teil des Volkes auf neuesten Stand gebracht. Unter Verwendung des gerade geschaffenen Instrumentariums der Sprache haben er und Heine so getan, als sei es selbstverständlich, als sei gar nichts dabei, es zu verwenden. Bei Goethe, Nietzsche, Thomas Mann weiß jedes Kind: es handelt sich um Literatur – und das bedeutet, in einem unliterarischen Volk wie dem unseren eine Trennwand aufrichten: hier das Leben, dort der Zauberberg. Hingegen denkt bei Heine oder Tucholsky leicht einer: das kann ich auch. Denkste!

Erich Kuby: Mein ärgerliches Vaterland. Hanser, München 1989 (Lizenzausgabe Volk und Welt, Berlin 1990), S. 285-290

 
 

Tucholsky-Zitate und Sprüche

Die Größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie dir an.


Wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte.


Als deutscher Tourist im Ausland steht man vor der Frage, ob man sich anständig benehmen muss oder ob schon deutsche Touristen dagewesen sind.


Toleranz ist der Verdacht, dass der andere Recht hat.


Der Vorteil der Klugheit besteht darin, dass man sich dumm stellen kann. Das Gegenteil ist schon schwieriger.


Erfahrungen vererben sich nicht - jeder muss sie allein machen.

 
 
 

Sie schläft

Morgens, vom letzten Schlaf ein Stück, 
nimm mich ein bißchen mit – 
auf deinem Traumboot zu gleiten ist Glück – 
Die Zeituhr geht ihren harten Schritt ... 
pick-pack...

»Sie schläft mit ihm« ist ein gutes Wort. 
Im Schlaf fließt das Dunkle zusammen. 
Zwei sind keins. Es knistern die kleinen Flammen, 
aber dein Atem fächelt sie fort. 
Ich bin aus der Welt. Ich will nie wieder in sie zurück – 
jetzt, wo du nicht bist, bist du ganz mein. 
Morgens, im letzten Schlummer ein Stück, 
kann ich dein Gefährte sein.

Schöner Herbst

Das ist ein sündhaft blauer Tag! 
Die Luft ist klar und kalt und windig, 
weiß Gott: ein Vormittag, so find ich, 
wie man ihn oft erleben mag.

Das ist ein sündhaft blauer Tag! 
Jetzt schlägt das Meer mit voller Welle 
gewiß an eben diese Stelle, 
wo dunnemals der Kurgast lag.

Ich hocke in der großen Stadt: 
und siehe, durchs Mansardenfenster 
bedräuen mich die Luftgespenster... 
Und ich bin müde, satt und matt.

Dumpf stöhnend lieg ich auf dem Bett. 
Am Strand wär es im Herbst viel schöner... 
Ein Stimmungsbild, zwei Fölljetöner 
und eine alte Operett!

Wenn ich nun aber nicht mehr mag! 
Schon kratzt die Feder auf dem Bogen – 
das Geld hat manches schon verbogen ... 
Das ist ein sündhaft blauer Tag!

 
 
 
   

Lebenslauf in Daten

9. Januar 1890 Kurt Tucholsky wird als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren.
ab 1909 Jurastudium in Berlin und Genf.
1911 Beiträge und Gedichte für den "Vorwärts", das Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).
1912 Der Kurzroman "Rheinsberg - ein Bilderbuch für Verliebte" erscheint.
1913 Tucholsky wird Literatur- und Theaterkritiker der Zeitschrift "Die Schaubühne" (ab 1918 "Die Weltbühne").
1914 Sammlung von Grotesken in "Der Zeitsparer".
1915 Abschluss des Jurastudiums mit Promotion. Während des Ersten Weltkriegs wird Tucholsky zum Heer einberufen.
1918 Chefredakteur der Zeitschrift "Ulk" in Berlin.
1920 Heirat mit Else Weil. Mitglied der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD).
1923 Tätigkeit als Volontär und Privatsekretär in einem Berliner Bankhaus.
1924 Tucholsky lebt als Korrespondent der "Weltbühne" und der "Vossischen Zeitung" in Paris. Er schreibt unter verschiedenen Pseudonymen, darunter Kaspar Hauser, Peter Panter und Theobald Tiger. Nach der Scheidung von Weil heiratet Tucholsky Mary Gerold.
1926 Er wird Herausgeber der "Weltbühne", gibt den Posten aber schon nach wenigen Monaten an Carl von Ossietzky ab. 1927 Der Reisebericht "Ein Pyrenäenbuch" erscheint. 1928 Publikation desSammelbandes "Mit 5 PS".
1929 Die Satire "Deutschland, Deutschland über alles. Ein Bilderbuch von Kurt Tucholsky und vielen Fotografen. Montiert von John Heartfield" erscheint. Emigration nach Schweden.
1931 Der Roman "Schloss Gripsholm" wird veröffentlicht.
1933 Scheidung von Gerold. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten werden Tucholskys Bücher verbrannt. Er selbst wird aus Deutschland ausgebürgert.
21. Dezember 1935 Kurt Tucholsky stirbt in Hindas (Schweden) an den Folgen einer Übermedikamentierung mit einem Schlafmittel.

   

 

 
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